13. Juni 2025 | Interview mit Bischof Rudolf Voderholzer
Autor: Gabriel Kords, Benjamin Lassiwe
Quelle: Schwäbische Zeitung
Bischof Voderholzer, als Sie gehört haben, wer der neue Papst ist: Was war Ihr erster Eindruck?
Ich habe wirklich gestaunt über die Innovationskraft und das Überraschungspotenzial des Heiligen Geistes. Ich kannte Papst Leo XIV. als Kardinal Prevost aus einigen Sitzungen des Glaubensdikasteriums. Er hat auf mich einen sehr ruhigen, bedächtigen, sehr reflektierten und klugen, gescheiten Eindruck gemacht. Er hat nicht viel gesagt, aber was er gesagt hat, das hatte Hand und Fuß.
Was sagt seine Biografie über ihn?
Durch seine Herkunft aus Nordamerika und seine Tätigkeit in Peru verbindet er die beiden Teile des amerikanischen Kontinents. Das ist ein großer Segen, ein großes Signal. Als Generaloberer der Augustiner hat er weltweite Erfahrungen gesammelt, war viel auf Reisen, kennt die Weltkirche. Er hat das Amt in aller Demut angenommen, aber auch mit den Formen und Zeichen, die dazu gehören.
Also auch mit jenen Formen und Zeichen, die Franziskus anders als sein Vorgänger Benedikt XVI. nicht genutzt hatte?
Da ist viel hineininterpretiert worden, was nicht stimmte. Die Presse hat oft einen Unterschied zu sehen geglaubt, der nach meiner Wahrnehmung so nicht vorhanden war. Benedikt war genauso bescheiden wie Franziskus, er hat es nur auf andere Weise zum Ausdruck gebracht.
Erkennen Sie weitere Ähnlichkeiten zwischen dem neuen Papst und Benedikt XVI.?
Dafür ist es noch zu früh. Aber die bisherigen Ansprachen Leos XIV. überzeugten mich sehr. Es ging immer um den Primat Gottes und die daraus folgenden, auch politischen Implikationen. Er hat oft Augustinus zitiert, so wie es Benedikt XVI. auch getan hat.
Der Papst ist auch für die Einheit der Kirche zuständig. Ist diese Einheit heute mehr gefährdet als vor 100 oder 200 Jahren?
Die Einheit der Kirche war immer gefährdet, auch nach dem I. Vaticanum, als sich die Altkatholiken abgespalten haben. Sie muss immer wieder neu errungen werden. Es ist ein unglaubliches Geschenk, dass es diese weltweite Kirche gibt. Sie ist ein Netz von Eucharistiegemeinschaften und wird durch das bischöfliche Prinzip unter dem Haupt des Papstes zusammengehalten. Deswegen werden in jedem Hochgebet die Namen von Papst und Bischof genannt: Das ist kein Personenkult, sondern es hat eine ekklesiologische, eine das Wesen der Kirche benennende Funktion. Als Kirche sind wir gegründet worden, um das Heil der Menschen und das Evangelium zu verkünden. Und um den Geist zu bitten, der diese Einheit von allein bewirken kann. Das muss der Weg sein. Und dazu braucht es viel Kontakt, viel Dialog, viel miteinander Reden und miteinander Beten.
Wie nehmen Sie das in der Kirche in Deutschland wahr? Findet der Dialog noch statt?
Die Kirche in Deutschland ist ein sehr komplexes Gebilde. Ich greife ein Themenfeld heraus, das ich für sehr ausschlaggebend halte für unsere gegenwärtige Situation: Bis in die 80er Jahre hinein war es ein ungeschriebenes Gesetz in Deutschland, dass sich die beiden Erzbischöfe von München und Köln im Vorsitz der Bischofskonferenz abwechseln. Das hat dann der Mainzer Bischof Lehmann durchbrochen, als er sich gegen Friedrich Wetter von München zur Wahl gestellt hatte. Das hat das Amt politisiert: Man wurde nicht mehr gewählt, weil man dran war, sondern weil man eine bestimmte kirchenpolitische Richtung hatte. Und da sammeln sich Mehrheiten, die bringen Minderheiten hervor, und das treibt die Einheit auseinander.
Sie plädieren schon länger für eine Entpolitisierung des Amtes des Vorsitzenden.
In fast allen Bischofskonferenzen dieser Welt, die ich kenne, macht man es anders. Ich habe schon 2020 vorgeschlagen, dass wir zu einem rotierenden System zurückkehren sollten, ausgeweitet auf die Metropoliten (also Erzbischöfe). Da käme zuerst Berlin dran, dann Freiburg, Hamburg etc. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass das ein überlegenswerter Gedanke ist, um die kirchenpolitische Dimension herauszunehmen und damit auf andere Weise zu versöhnen.
Wie führt denn Bischof Bätzing sein Amt aus Ihrer Sicht? Wenn Sie einmal auf die letzten Jahre zurückblicken: Was ist Ihr Eindruck?
Er hat sich voll in das Projekt des synodalen Weges hineinbegeben, auch wenn er es von seinem Vorgänger geerbt hat. Ich selbst kenne ihn lange. Wir haben uns eigentlich gut verstanden. Wir haben uns auf der Basis der Theologie von Hans Urs von Balthasar und in der von dem Schweizer Theologen gegründeten Johannes Gemeinschaft als theologischer Heimat aufgehoben gewusst. Leider musste ich in der letzten Zeit feststellen, dass er sich von wichtigen Einsichten Balthasars losgesagt hat. Im Hinblick auf die Geschlechterthematik und ihre Auswirkungen auf die Sakramententheologie ist Bischof Bätzing der Meinung, Hans Urs von Balthasar würde heute anders denken. Das kann ich so in keiner Weise nachvollziehen.
Wie sehen Sie denn das Verhältnis der Kirche zur Politik? Wie politisch soll Kirche sein?
Die Kirche in der Gestalt ihrer Amtsträger und Bischöfe sollte nicht Politik machen, sondern Politik möglich machen. Und zwar durch die Verkündigung und die Erschließung der katholischen Soziallehre. Das ist einer der größten Schätze, die wir haben. Die katholische Soziallehre stellt die Kriterien für eine gute Politik bereit, und das parteiübergreifend.
Wann sollte sich die Kirche selbst äußern?
Wir haben als Bischöfe natürlich eine Position zum Lebensschutz oder zur Menschenwürde – die des Grundgesetzes. Das konkrete Tagesgeschäft, der Gesetzgebungsprozess im Parlament ist Sache derer, die dafür gewählt worden sind. Darunter sind zum Glück viele überzeugte Christen. Als Bischöfe geben wir ihnen Orientierung, und Politiker müssen sich auch gefallen lassen, wenn wir mal sagen, dass etwas nach unserer Meinung mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar ist. Wobei mir in Sachen Lebensschutz wichtig ist: Die Kirche hat hier keine religiöse Sondermeinung, sondern verteidigt erst einmal die grundgesetzlich verbrieften Rechte.
Die Deutsche Bischofskonferenz hat unlängst ein Papier zur AfD herausgegeben. Wie stehen Sie persönlich dazu?
Ich habe das Papier mitgetragen, denn es ist angesichts des Ernstes der Lage wichtig, dass wir uns in dieser Frage klar positionieren. Allerdings, das habe ich auch mehrfach öffentlich schon gesagt: Ich war mit dem Papier erst einverstanden, als ich erreicht hatte, dass auch der Lebensschutz als ein Kriterium, für das wir als Kirchen stehen, in die Erklärung mit aufgenommen wurde. Ich wollte auf jeden Fall vermeiden, dass wir diesen wichtigen Punkt, der uns immer auch als Kirche gut angestanden hat, nicht besetzen und den Anderen überlassen. Was ich leider nicht erreicht habe, war der Verzicht auf eine rein negative Identität. Unter negativer Identität verstehe ich, dass man sich definiert durch das, was man nicht will. Wir hätten noch viel deutlicher sagen müssen, dass wir junge Christinnen und Christen ausdrücklich ermutigen, sich auf der Basis der katholischen Soziallehre in der politischen Mitte zu engagieren.
Wie gehen Sie in Ihrem Bistum mit AfD-Wählern um?
Wir machen keine Gesinnungsprüfung. Und ich muss davon ausgehen, dass es auch unter Katholiken manche Wählerinnen und Wähler der AfD gibt. Aber ich kann auch unterscheiden zwischen einer Protesthaltung und einer ideologisch verhärteten Position. Wenn man den Fachleuten glauben darf, dann besteht ein Großteil der AfD-Wähler, aber auch der Wähler etwa der Linken, aus Protestwählern, die einfach nicht sehen, dass die anstehenden Fragen und Probleme angepackt werden von den Parteien der Mitte. Und diese Parteien müssen sich auch sagen lassen, dass sie bei manchen Themen keine Lösungen vorangebracht haben.
Bei Ihnen im Bistum ist auch die Piusbruderschaft aktiv. Wo ziehen Sie da die Grenze?
Die Grenze ist ganz klar die Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Lehre der Kirche und ihrer Tradition. Da geht es nicht um Latein oder die Liturgie. Wir haben ja auch die Petrusbruderschaft, die die Messe nach dem alten Usus feiert, aber das Konzil anerkennt. Bei den Piusbrüdern erleben wir eine politische Theologie, wo die Wahrheit über die Freiheit gestellt wird. Das geht nicht.
Mit Bezug auf die gesellschaftliche Spaltung im Land: Kann die Kirche etwas dazu beitragen, dass Menschen über die Grenzen ihres eigenen Dunstkreises hinweg in Kontakt miteinander kommen?
Wenigstens zwei Aspekte: Wenn ich die alten Aufnahmen von Wehner und Strauß anhöre, dann stelle ich fest: – früher gab es eine Debattenkultur, wo auch einmal richtig die Fetzen geflogen sind. So etwas kennen wir heute gar nicht mehr. Das ist das eine. Das andere ist, und das habe ich auch am Beginn des synodalen Weges immer wieder gesagt: Wir haben in der Kirche keine gemeinsame Gesprächsgrundlage mehr. Wir haben im synodalen Weg beispielsweise kein Einvernehmen darüber, was ein theologisches Argument ist, wie einerseits Schrift und Tradition, andererseits vermeintlich gesicherte Erkenntnisse der Humanwissenschaften zu gewichten sind. Da geht es ziemlich durcheinander und dann redet man aneinander vorbei. Das ist schwierig. Und das gilt nicht nur beim synodalen Weg, sondern auch in der Politik.
Was würden Sie sich denn persönlich von so einem synodalen Weg oder Prozess in Deutschland wünschen? Was müsste passieren, damit Sie eine entsprechende Sitzung zufrieden verlassen?
Wir haben doch schon viele synodale Formate in Deutschland. In meinem Bistum gibt es etwa das Diözesankomitee oder den Diözesansteuerausschuss, und vieles mehr. Das sind synodale Gremien, wo miteinander um Entscheidungen gerungen wird. Das Bild vom einsam entscheidenden allmächtigen Bischof ist eine Karikatur. Ich erlebe genügend synodale Austauschrunden, wo ich wirklich sagen kann: Es ist schön, Christ zu sein, katholisch zu sein und in einer Gemeinschaft zu sein, die sich gesendet weiß, das Evangelium zu leben, zu verkünden und andere dafür zu begeistern. Beim synodalen Weg hatte ich ja mit Kardinal Woelki zusammen einen alternativen Satzungsentwurf auf der Basis des Briefes von Papst Franziskus vom Juni 2019 vorgelegt. Wir sind nicht gegen Synodalität, sondern gegen eine bestimmte Form von Synodalität, die mehr einem parlamentarischen Parteiendiskurs ähnelt als einem gemeinsamen Hören auf Gottes Wort.
Ist der synodale Weg zu sehr vom Vorbild evangelischer Synoden geprägt?
Er ist geprägt durch die Erfahrung von einer bestimmten Form von Demokratie in den katholischen Verbänden. Dort geht es aber nicht um Glaubensfragen, sondern um Fragen der Ausrichtung eines katholischen Verbandes.
Ist dieser Gremienkatholizismus, wie wir ihn im ZdK erleben, denn überhaupt noch repräsentativ für die katholische Kirche?
Ich glaube, dass er nie repräsentativ war, und das auch nicht sein wollte. Ich bekomme so viel Post von Leuten, die sagen, ich fühle mich da nicht vertreten. Natürlich ist es schwer zu sagen, was wirklich repräsentativ für die katholische Bevölkerung ist. Aber mein Eindruck ist, dass die breite Schicht der Gläubigen etwa mit dem ZdK nicht viel anfangen kann. Bei Besuchen in den Gemeinden höre ich andere Fragen: Wie gelingt es, dass ich meinen Kindern das Beten beibringe? Dann sagen die Anderen natürlich: Solange wir nicht homosexuellen Paaren die Ehe spenden, wirst du dein Kind nicht zum Beten bringen. Ich persönlich glaube, dass das so nicht funktioniert. Denn ansonsten müsste die evangelische Kirche ja blühen.
Wo sehen Sie denn Grenzen des synodalen Wegs?
Die Ziele des synodalen Weges waren von Anfang an unrealistisch. Kardinal Woelki und ich hatten u.a. die Themen Evangelisierung, Berufungspastoral oder Religionsunterricht vorgeschlagen. Das sind Dinge, wo wir all unsere Glaubenskraft, Leidenschaft und Phantasie einbringen können, um uns hier wieder besser aufzustellen. Der Staat gewährt uns die Möglichkeit des Religionsunterrichts. Aber uns fehlen zunehmend Religionslehrerinnen und Religionslehrer. Das wären doch Themen, über die man reden müsste: Wie gelingt es, den Glauben glaubwürdig zu verkünden?
Wie gelingt es denn im Bistum Regensburg, den Glauben glaubwürdig zu verkünden?
Ob es gelingt, weiß ich nicht. Jedenfalls haben wir verschiedene innovative Projekte. Ich habe das Schreiben von Papst Franziskus von 2021 aufgegriffen, mit dem er das alte Amt der Katechistin und des Katechisten wieder eingeführt hat. Wir haben ein Ausbildungsprogramm dafür entwickelt. Die Menschen beschäftigen sich zehn Samstage lang mit der Frage, wie man sprachfähig für den Glauben werden kann. Aus ihnen werden dann beispielsweise Betreuerinnen und Betreuer für die Ministranten: Denn die Kinder und Jugendlichen, die sich in der Kirche engagieren, sind unser ganz großes Pfund. Wir fördern mit dieser Ausbildung auch die Leitung von Bibelkreisen oder die Begleitung von Wallfahrten. Da entstehen keine Minipastoren, aber Menschen, die in der Kirche mithelfen und dazu einen Auftrag vom Bischof haben. Ein anderer Punkt ist unsere Regensburger Sonntagsbibel: Eine Hausbuch, das an bewährte Formen anknüpft. Damit soll die Sonntagskultur gefördert werden. Familien können vom bewusst gelebten Sonntag im Mitvollzug des Kirchenjahres für ihren Alltag mit all seinen Herausforderungen enorm profitieren. Das will ich fördern. Ganz wichtig ist mir auch die pastorale Dimension der Kirchenmusik.
Und wie gehen Sie auf einen Menschen zu, der nie getauft wurde, und für den die Kirche immer etwas Fremdes war?
Das hängt natürlich von den Pfarrern ab, die eingeladen sind, Hausbesuche zu machen. Ich fördere Alphakurse, in denen man Grundlagen des Glaubens kennenlernt. Wir haben auch Gruppen, die Leute auf der Straße ansprechen: Night Fever zum Beispiel. Gott sei Dank gibt es viele Initiativen, bei denen junge Leute einen echten missionarischen Impuls spüren und den Glauben weitergeben wollen. Manche Leute fühlen sich da angesprochen, manche eher abgeschreckt. Oder nehmen Sie die Regensburger Domspatzen: Da sind auch Ungetaufte dabei. Erst kürzlich durfte ich einen 13-Jährigen taufen, der von sich aus zu seinem Religionslehrer kam und getauft werden wollte. Weil er durch die Musik etwas vom Glauben erfahren hat, und nun dazugehören wollte.
Wir können mit Rudolf Voderholzer nicht sprechen, ohne wenigstens einmal über Krippen gesprochen zu haben. Hier im Besucherzimmer steht kurz vor Pfingsten eine riesige Weihnachtskrippe. Was fasziniert Sie so daran?
Meine Mutter stammt aus Böhmen. Und Prag ist wohl die Wiege der Krippe. Eine Krippe zeigt die Konkretheit des Glaubens. Man ist dabei, wenn man sie betrachtet. Als Bischof bin ich darüber hinaus gut beraten, ein so erfolgreiches Medium der Glaubensvermittlung wertzuschätzen. Insofern ist es für mich auch ein Element der Evangelisierung, niederschwellig und anziehend. Das sehen Sie auch in Tschechien, wo die Säkularisierung noch viel weiter fortgeschritten ist als bei uns. Für viele Menschen dort ist die Krippe die einzige Brücke zu Christus. Die Aufklärung hatte die Krippen aus den Kirchen verbannt, dann sind sie in die Häuser gewandert. Dort hat sie alle Säkularisierungsstürme überdauert. Die Weihnachtskrippe ist tief in den Herzen der Menschen verankert.
Und wie bringen Sie den Menschen das Pfingstfest nahe?
Pfingsten ist in gewisser Weise abstrakt, aber eigentlich höchst konkret. Ich habe oft mit Leuten diskutiert und überlegt: im Bezug auf das Brauchtum: An Weihnachten gibt es Geschenke, da kommt das Christkind. An Ostern kommt der Osterhase und bringt Eier. Und der Heilige Geist? Was bringt er? Er bringt die Gemeinschaft der Kirche, neue Schwestern und Brüder. Und die muss man aber eben auch erleben. Als Christen sind wir uns gegenseitig das Pfingstgeschenk. Pfingsten, die Geburtsstunde der weltweiten Kirche. Es ist die Überwindung der babylonischen Sprachverwirrung. Im Bistum Regensburg ist an Pfingsten die große Fußwallfahrt nach Altötting. Für viele eine wichtige Glaubenserfahrung in der Gemeinschaft. In der Stadt kommen heuer weit über 1000 überwiegend junge Leute zusammen zum Prayer-Festival, von den ganz traditionellen Formaten wie Pfingstritt in Bad Kötzting oder der Kerzenwallfahrt auf den Bogenberg ganz zu schweigen. Der Heilige Geist bringt die Menschen zusammen.