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08. Januar 2024 | "Das kann nicht gut ausgehen": Kardinal Walter Kasper im Gespräch

Der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper analysiert im Interview die weltkirchliche Lage nach der ersten Etappe der römischen Bischofsynode über Synodalität. Und er kritisiert die katholische Kirche in Deutschland: Dass man dort trotz römischer Einsprüche an der Einrichtung eines neuen kirchlichen Leitungsgremiums weiterarbeite, sei eine "trotzige Herausforderung". |


Autor: Jan-Heiner Tück, Walter Kasper
Quelle:
IkaZ Communio | www.herder.de
Jan-Heiner Tück: Bislang gab es im Leben der Kirche Synoden als besondere Ereignisse. Nun wird unter Papst Franziskus die synodale Kirche gewissermaßen auf Dauer gestellt. Ist das ein ekklesiologischer Paradigmenwechsel?

Walter Kardinal Kasper: Man muss unterscheiden zwischen Synoden als besondere Ereignisse entweder in einem regelmäßigen Rhythmus, etwa von 10 Jahren, oder bei dringenden Anlässen, und Synodalität im Sinn eines neuen Stils in der Kirche im Sinn des geschwisterlichen Miteinanders von Bischöfen, Priester, Ordenschristen und Laien, wobei Frauen und Männer, Jugendliche und ältere Menschen, Arme und Fremde angemessen einbezogen werden sollen. Dieser Evangeliums-gemäße spirituelle Stil soll das ganze Leben der Kirche, die Synoden und die vielen anderen kirchlichen Gremien prägen. Ein Paradigmenwechsel ist das insofern, als sich die Kirche seit dem Zweiten Vatikanum nicht mehr einseitig institutionell als hierarchische Gesellschaft, vielmehr auf Grund der einen gemeinsamen Taufe als Communio versteht, in der alle, unterschiedliche Charismen, Berufungen und Ämter in synodalem Miteinander gemeinsam auf dem Weg sind. Die offenen konkreten Fragen sollen bei der Bischofssynode 2024 geregelt werden.

Tück: Die erste Session der Bischofssynode über Synodalität ist soeben zu Ende gegangen. Die einen haben sie als "kleine Revolution" gewürdigt, andere als "zu wenig mutig" kritisiert. Was ist Ihre Einschätzung?

Kasper: Von revolutionär möchte ich nicht sprechen. Die Synode bewegte sich auf der Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils und hat dessen Ansätze mutig, aber insgesamt auch einmütig weiterentwickelt. Dazu hat der geistliche, durch Gebet unterbrochene Stil wesentlich beigetragen. Zur Mutprobe wird es erst bei der Synode 2024 kommen, wenn es gilt, konkrete Beschlüsse zu fassen.

"Selbstverständlich gab es unterschiedliche Meinungen, aber es kam zu keinen Fensterreden und zu keiner die öffentliche Meinung bestimmenden medialen Nebensynode." 

Tück: Papst Franziskus hat im Vorfeld der Bischofssynode die Präsenz von Medien untersagt, um das geistliche Format der Beratungen zu sichern. Das wurde als Transparenzdefizit kritisiert. Zurecht?

Kasper: Zweifelsohne ist bei kirchlichen Ereignissen die vor allem durch die Medien hergestellte Transparenz von großer Bedeutung. Communio setzt Kommunikation voraus. Doch auch in demokratischen Staaten ist es völlig normal und in der Sache zuträglich, dass bestimmte Gremien unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen. Im konkreten Fall hat sich der Ausschluss der Medien positiv ausgewirkt. Jeder und jede konnte in großem Freimut sprechen, ohne anschließend in der Öffentlichkeit als progressiv, konservativ, reaktionär und anderes eingestuft oder gar abgestraft zu werden. Selbstverständlich gab es unterschiedliche Meinungen, aber es kam zu keinen Fensterreden und zu keiner die öffentliche Meinung bestimmenden medialen Nebensynode. Jetzt liegen die Ergebnisse des synodalen Diskussion in verschiedenen Sprachen öffentlich vor und können bis zur Entscheidung bei der Synode 2024 öffentlich diskutiert werden.

Die Synode: kein Kollektiv

Tück: Neben einer Kultur des Zuhörens wurde immer wieder ein Prozess der geistlichen Unterscheidung angemahnt. Kann man die Logik der existenziellen Erkenntnis, wie sie die Exerzitien des Heiligen Ignatius vorsieht, auf synodale Gremien übertragen?

Kasper: Selbstverständlich ist die existenzielle Entscheidung Sache jedes Einzelnen, die er in seinem persönlichen Gewissen treffen muss. Die Synode ist kein Kollektiv, vielmehr das Miteinander von Christenmenschen, bei denen jeder einzelne unmittelbar zu Gott ist und letztlich Ihm rechenschaftspflichtig ist. Konkret wird sich die Entscheidung im Hören und Abwägen der Argumente der anderen Synodenteilnehmer herausbilden und dann die eigene Abstimmung bestimmen.

Tück: Der Zwischenbericht hat die überwältigende Zustimmung der Synodalen gefunden, er breitet ein ganzes Ensemble an Themen aus, die man in der finalen Session 2024 kaum alle behandeln kann. Nach welchen Kriterien würden Sie eine Konzentration vornehmen?

Kasper: Es ist vorgesehen, dass der abgestimmte Zwischenbericht der Synode jetzt an die Ortskirchen zurückgeht, und diese an das Generalsekretariat der Synode berichten, was sie als besonders dringlich ansehen. Aufgrund dieser Berichte wird dann der Synode 2024 ein Vorschlag unterbreitet. Themen, welche dann nicht zum Zug kommen, brauchen deshalb nicht unter den Tisch fallen; sie könnten auch an andere Gremien oder Institutionen oder gegebenenfalls an künftige Synoden zur Behandlung weitergeleitet werden.

Tück: Partizipation und Mitverantwortung von Laien und Frauen ist eines der wichtigsten Themen. Die starke Betonung des Bischofsamtes des Zweiten Vatikanum wurde mitunter als Problem gesehen. Manche haben durch die Beteiligung von Nichtbischöfen den Charakter einer Bischofssynode in Zweifel gezogen?

Kasper: Die Teilnahme von Laien und von Frauen hat der Synode sehr gut getan. Die Diskussionen waren nicht theologisch verkopft und kamen nicht aus einer rein institutionellen Perspektive. Die Voten der Frauen aus unterschiedlichen Kulturen waren sehr authentisch, eindringlich und nachdenklich; es hätte der Synode etwas gefehlt, wenn sie nicht dabei gewesen wären. Die Beteiligung der Laien und der Frauen wird darum zweifellos eines der dringenden Themen der Synode 2024 sein. Ihre Beteiligung bei der diesjährigen Synode hat den Charakter einer Bischofssynode, schon was die Zahlenverhältnisse angeht, gewahrt und hat sich an den kirchenrechtlich vorgesehenen Rahmen gehalten. Wünschenswert wäre, dass bei künftigen Synoden nicht nur an die Teilnahme von Bischöfen und Laien gedacht wird, sondern auch in der Seelsorger vor Ort tätige Priester einbezogen werden, da sie es sind, welche die "Hitze des Tages" zu ertragen haben.

"Von einer Legitimierung eines paritätisch mit Bischöfen und Laien besetzten Synodalen Rats durch den Synodalen Prozess der Weltkirche kann keine Rede sein."

Tück: In Deutschland wurde nun der "Synodale Ausschuss" konstituiert, der trotz römischer Einsprüche einen dauerhaften Synodalrat vorbereiten soll, der paritätisch besetzt ist. Namhafte Akteure sehen dieses Vorgehen durch den Synodalen Prozess der Weltkirche legitimiert. Zurecht?

Kasper: Von einer solchen Legitimierung eines paritätisch mit Bischöfen und Laien besetzten Synodalen Rats durch den Synodalen Prozess der Weltkirche kann keine Rede sein. Diese Frage wurde beim Synodalen Prozess gar nicht behandelt und die römischen Einsprüche waren und sind mehr als deutlich. Jetzt trotzdem mit diesem Projekt einfach weiterzumachen und vollendete Tatsachen zu schaffen, das kann man nicht anders denn als trotzige Herausforderung verstehen, die nicht gut ausgehen kann.

Debatte um den Synodalen Rat

Tück: Auch Papst Franziskus hat am 6. November in einem Brief an vier ehemalige Synodalinnen geäußert, die Konstituierung des Synodalen Rates sei nicht mit der sakramentalen Verfassung der Kirche vereinbar. Dieser Einspruch stößt bei vielen – auch bei Bischöfen in Deutschland – auf Unverständnis. Wie lässt sich diese hermeneutische Dissonanz auflösen?

Kasper: Die sakramentale Struktur der Kirche besteht unter anderem darin, dass die Leitungskompetenz in der Kirche dem Amt zukommt, das durch sakramentale Ordination dazu berufen und bevollmächtigt ist. Das schließt im Sinn der Synodalität ein, dass der Bischof sich mit synodalen Gremien berät und über seine Entscheidung Rechenschaft gibt.  Das Zweite Vatikanische Konzil spricht von einem "einzigartigen Einklang zwischen Vorstehern und Gläubigen". Auf gesamtdeutscher Ebene gibt es solche regelmäßigen Beratungen zwischen der Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken bereits seit der Würzburger Synode. Nichts hindert, diese Beratungen noch etwas zu profilieren. Problematisch wird es jedoch dann, wenn ein Synodaler Rat bindende Beschlüsse fassen könnte, an welche der einzelne Bischof kanonisch oder moralisch gebunden ist. Ein solcher Synodaler Rat wäre ohne Zweifel ein Eingriff in die sakramentale Struktur und würde die Leitungsvollmacht des Bischofs begrenzen oder gar aushebeln. Er hätte dann mehr Befugnisse als die Bischofskonferenz, welche nach dem gegenwärtigen Kodex des kanonischen Rechtes mit wenigen Ausnahmen ein Beratungsgremium ist.

"Mir leuchtet nicht ein, wie man bei der Ordination ein Amt übernehmen kann und dann auf die Ausübung der Verpflichtungen, die zu diesem Amt wesentlich gehören und die man bei der Ordination öffentlich übernommen hat, verzichten kann."

Tück: In Deutschland wird das systemische Versagen der Bischöfe im Umgang mit sexuellem und geistlichem Missbrauch durch Kleriker angeführt, um die Institutionalisierung des Synodalen Rates zu begründen. Ungeachtet der römischen Einsprüche hält die Mehrheit der deutschen Bischöfe daran fest, sich künftig im Sinne der freiwilligen Selbstbindung an die Beschlüsse des Synodalen Rates zu halten. Das wird als Zeichen der bischöflichen Lernbereitschaft gesehen. Warum bleiben Sie skeptisch?

Kasper: Mir leuchtet nicht ein, wie man bei der Ordination ein Amt übernehmen kann und dann auf die Ausübung der Verpflichtungen, die zu diesem Amt wesentlich gehören und die man bei der Ordination öffentlich übernommen hat, verzichten kann. Die Selbstbindung, welche jeder Bischof bei seiner Bischofsweihe öffentlich übernimmt, ist die Treue zum Papst. Wie soll sie vereinbar sein mit der Bindung an einen Synodalen Rat, den der Papst ausdrücklich missbilligt?

Tück: In demokratischen Gesellschaften können Bischöfe nicht mehr wie Barockfürsten durchregieren. Welche Maßnahmen würden Sie selbst konkret empfehlen, um den episkopalen Dienst transparenter zu gestalten und stärker synodal einzubetten?

Kasper: Durchregieren nach Art eines Barockfürsten ist zweifellos kein dem Evangelium entsprechendes Ideal und entspricht bei uns in Deutschland auch nicht der Realität. Ich weiß auch gar nicht mehr, wie viele Gremien ich als Bischof bei wichtigen Entscheidungen jeweils hören musste. Es geht deshalb nicht darum, unter Berufung auf die Synodalität zusätzliche neue Strukturen zu schaffen, sondern vielmehr darum, die bestehenden Strukturen im Sinn der Synodalität neu auszurichten und sie weniger bürokratisch, sondern mehr geistlich auszugestalten. Wir brauchen eine geschwisterliche Gesprächskultur. Wenn sie nicht weiterhilft oder verweigert wird, kann bei Amtsmissbrauch oder ungerechten Entscheidungen eine Art Verwaltungsgerichtsbarkeit oder eine unabhängige Beschwerdestelle hilfreich sein.

Mehr theologische Präzision!

Tück: Sie selbst haben in Ihrem freundschaftlichen Disput mit Kardinal Ratzinger vor "römischen Zentralismus" gewarnt. Papst Franziskus hat bereits 2013 von einer "heilsamen Dezentralisierung" gesprochen. Wie weit kann diese gehen, ohne dass das Gemeinsame, quasi die Kohärenz des Katholischen, Schaden leidet?

Kasper: Dezentralisierung scheint mir nicht das richtige Wort für mein damaliges Anliegen zu sein, das inzwischen von Papst Franziskus mehrfach in Anspruch genommen wurde. Natürlich hat die Kirche auf Erden einen sichtbaren Mittelpunkt im petrinischen Amt des Bischofs von Rom, dessen Aufgabe es ist, die Brüder im Bischofsamt zu stärken. Das Verhältnis von Universal- und Ortskirche hat im Laufe der Geschichte je nach den Bedürfnissen der Zeit unterschiedliche Formen angenommen. Im Laufe der Neuzeit hat die Universalkirche geographisch, und was die kulturelle Vielfalt angeht, eine Größenordnung erreicht, welche den bisherigen Rahmen sprengt und dazu veranlasst, die Vielfalt in der Einheit der Kirche neu zu bedenken und neu zu ordnen. Das kann, wie die Bischofssynode angedeutet hat, nur in synodaler Weise geschehen, indem man auf regionaler und kontinentaler Ebene synodale Zwischeninstanzen einrichtet.

"Der Mangel an theologischer Tiefe und Präzision wurde bei der Bischofssynode immer wieder angesprochen."

Tück: Welche Rolle kann die Theologie spielen, um die finale Phase der Bischofssynode vorzubereiten?

Kasper: Der Mangel an theologischer Tiefe und Präzision wurde bei der Bischofssynode immer wieder ausgesprochen. Er hatte bei einer Synode, welche erst einmal die Erwartungen der Gläubigen artikulieren sollte, auch sein Gutes. So kamen die Erwartungen der Basis ungefiltert rüber. Doch wenn nun die Erwartungen der Gläubigen nicht enttäuscht werden sollen, müssen bei der Synode 2024 Antworten gegeben und Lösungen beschlossen werden. Das kann nicht ohne fachkundigen, theologischen und kanonistischen Anspruch geschehen. Das Trienter Konzil hat alle Fragen zuerst in der Theologenkongregation gründlich diskutiert und dann erst in der Bischofskongregation entschieden. Beim Zweiten Vatikanum haben viele Bischöfe ihren "Haustheologen" mitgebracht, so war damals fast alles, was in der Theologie Rang und Namen hatte, versammelt. Bei der Bischofssynode gibt es die Einrichtung des Synodentheologen. Da ein einzelner diese Arbeit kaum leisten kann, schlage ich eine internationale Gruppe von anerkannten Theologen und Kanonisten vor.


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